Die Bedeutung des Arbeitsstandort steht dank den Ereignissen dieses Jahres auf dem Prüfstand. Flexibilität, bezahlbarer Wohnraum und Nähe zu FreundInnen und Familie punkten besser bei MitarbeiterInnen, als das Kickertisch im schicken Loft-Büro in der Innenstadtlage, ohne Parkmöglichkeiten. Das Unternehmen von MMBC Member Sarah Hackemüller hat sich Fragen, die jetzt breit diskutiert werden, schon lange vorher gestellt. 2007 zog die Werbeagentur PRODUCTION UNIT von Düsseldorf aufs Land, in die Nähe der niederländischen Grenze. Wir haben mit Sarah über die Chancen und Herausforderungen des Arbeitens „auf dem Lande“ gesprochen.

Foto: Sarah Hackemüller

Liebe Sarah, wenn Du es Dir nochmal aussuchen könntest, würdest Du dann jetzt lieber in Düsseldorf oder Hückelhoven arbeiten? Warum fällt Deine Entscheidung so aus?

Die Entscheidung würde definitiv wieder fürs Land ausfallen. Ein Punkt ist natürlich der Kostenvorteil für das Unternehmen. Ja, in den meisten Fällen sind die Mietausgaben auf dem Land niedriger als in der Großstadt, auch die Gewerbesteuer (Stichwort Hebesatz) kann sich positiv auswirken. Aber nicht zu vergessen ist, dass ein Umzug auch erst mal Kosten und Arbeit verursacht.

Für mich persönlich gibt es aber noch viel mehr Vorteile für den Standortwechsel, da ich auf dem Land wohne und früher nach Düsseldorf pendeln musste. Jeden Tag drei Stunden für den Weg zur und von der Arbeit verbringen – ich glaube da kann man bessere Dinge mit seinem Leben und seinen Nerven anfangen. Oft kam ich schon gestresst auf der Arbeit an und machte am Ende des Tages dasselbe Spiel auf dem Nachhauseweg nochmal durch. Auch die nervige Parkplatzsuche ist mir immer noch in „schlechter“ Erinnerung.

Natürlich ist es aber auch reizvoll, nach der Arbeit durch die Stadt oder über die Rhein-Kirmes zu schlendern, wenn sie denn stattfindet. Doch alleine macht man das eher selten, manchmal mit Arbeitskollegen, aber meistens sind alle froh nach einem langen Tag nach Hause zu gehen.

Quality-Time, wie essen gehen und quatschen mit Familie oder FreundInnen ist super, wenn diese aber auch nicht in der Stadt leben und erst anreisen müssen, bringt einem der Standort Stadt nichts. Und wenn man mit lieben Menschen Zeit verbringt, macht es keinen Unterschied, ob das in der Stadt oder auf dem Land geschieht.

Wenn es einen Notfall in der Familie gibt, ist man schnell vor Ort. Und obwohl wir auf dem Land sind, gibt es genügend Einkaufsmöglichkeiten, sodass der Wocheneinkauf in der Mittagspause oder nach der Arbeit schnell erledigt ist. Auch ein Punkt zur Zeitersparnis. Und die Stadt ist ja nicht plötzlich weg. Nach Feierabend oder am Wochenende ist man außerhalb des Berufsverkehrs immer noch schnell dort. Unterm Strich würde ich sagen, arbeite da, wo dein Lebensmittelpunkt ist

Arbeiten um zu leben oder leben um zu arbeiten? Wie gehen diese beiden „Welten“ für Dich zusammen?

Lieber Arbeiten um zu leben, aber beides bekommt seine Zeit. Wenn der „eine“ schläft, kümmere ich mich um den anderen. Das heißt, wenn es auf der Arbeit ruhiger ist, haben das Kind und die Familie volle Primetime. Beim Mittagsschlaf hat die Arbeit einen super Stand und wenn Abgabetermine anstehen, wird die Arbeitszeit erweitert. Ich versuche, den Tagesablauf zu planen, verzweifle aber nicht, wenn es genau anders läuft. So ist halt das Leben. Wichtige Arbeit, die liegen geblieben ist, wird abends erledigt. Auch das Wochenende ist gern mal Arbeitszeit. Aber das ist dann völlig in Ordnung. Dann kann ich in ruhiger Atmosphäre arbeiten und mein Mann kümmert sich zu 100 % ums Kind. Klar meldet sich immer mal wieder das schlechte Gewissen auf beiden Seiten, wenn man dann aber resümiert und sieht wie gut alles klappt, verschwindet es auch in den meisten Fällen wieder.

Du bist Geschäftsführerin einer Werbeagentur. Wie sieht’s bei Euch im Office so aus?

Wir haben immer noch einen Kickertisch, nur nicht mehr im Altbau mit hohen Stuckdecken direkt am Rhein, sondern in Büroräumen in der Kleinstadt. Der Tisch ist zwar da, aber staubt ehrlich gesagt eher ein, da niemand mehr die Zeit zur nächsten Bahn überbrücken muss oder den großen Stau abwartet. Ansonsten hat sich der Aufbau nicht geändert. Jeder hat seinen festen Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Rechner. Wir haben immer noch einen Besprechungsraum, eine Küche, in der man sich sein Mittagessen zubereiten kann. Server, Proofdrucker, Normlicht etc., alles was man so braucht. Ein gutes Betriebsklima und morgens ausgeruhte Mitarbeiter gibts on top dazu.

Was ist das Feedback der MitarbeiterInnen zu Eurem Standort?

Die Entscheidung des Standortwechsels wurde circa ein Jahr vorher kommuniziert. Es gab MitarbeiterInnen, die den Umzug nicht wollten und die Zeit bis zum Wechsel genutzt haben, um sich anderweitig zu orientieren. Der Großteil der MitarbeiterInnen kam aber aus der Region des neuen Standorts und hat die Entscheidung befürwortet. Für sie heißt es jetzt nicht mehr Stunden vor Arbeitsbeginn losfahren, sondern länger schlafen oder in Ruhe mit der Familie frühstücken. Auch am Abend ist man viel schneller zu Hause und hat noch etwas vom Tag. Neben dem Zeitvorteil ist es auch ein klarer Kostenvorteil für die MitarbeiterInnen. Sprit, Verschleiß des Fahrzeugs oder Bahnticket sind deutlich geringer oder entfallen ganz. Und wie schon erwähnt, keine Parkplatzsuche mehr. MitarbeiterInnen könnten sogar mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen. Niemand möchte mehr tauschen, und wenn morgens die Stauschau im Radio läuft, fragt man sich, wie man das so viele Jahre ausgehalten hat.

Foto: Johen Redman/Unsplash

Und wie nehmen Eure KundInnen Eure Lage wahr?

Früher brauchte man als Werbeagentur ein Büro in guter Lage, in einer Stadt wie Düsseldorf, um als hochwertig anerkannt zu werden. Man musste ein wenig zeigen, was man hat. Das hat sich zum Glück gewandelt. Unsere GeschäftspartnerInnen erwarten heut zu Tage nicht mehr die Agentur in der Prestigelage. Sie zahlen lieber für qualitativ hochwertige Arbeit anstatt für unsere Büroräume. Und auch unsere KundInnen haben ihren Geschäftssitz oft nicht Mitten in der Großstadt, sondern in einem Industriegebiet außerhalb des Stadtkerns.

Am Anfang waren vielleicht Einige ein wenig erstaunt, aber niemand hat sich negativ dazu geäußert, geschweige denn uns verlassen. Zudem war es zu der Zeit bei uns schon typisch, dass wir für Gespräche zu unseren KundInnen fahren und sie nicht mehr regelmäßig bei uns erscheinen. Und ganz ehrlich, dabei ist unseren KundInnen ganz egal, von welcher Autobahnauffahrt wir zu ihnen kommen. Oft geht es von der neuen Lage aus sogar schneller, als einmal quer durch die Stadt zu müssen. Und der Großteil unserer Kundenkommunikation läuft schon lange via E-Mail oder Telefon. Hier war eine andere Telefonvorwahl der einzige Unterschied für die KundInnen.

Für Studium und Ausbildung zieht es noch immer viele Nachwuchstalente in die Großstädte, so zumindest das Klischée. Wie müsst Ihr um gute Leute buhlen, damit sie zu Euch auf’s Land kommen oder überwiegen die Vorteile gegenüber den Städten?

Das Klischee hatte ich auch selber zum Start meines Berufslebens im Kopf. Die großen Agenturen mit den tollen Büros mitten in der Großstadt. Einige junge Menschen wollen bestimmt noch genau dort hin. Aber wir können aufgrund des Wechsels weder bei Initiativbewerbungen noch bei der gezielten Mitarbeitersuche einen Rückgang oder Probleme feststellen. Dadurch, dass viele Menschen gerne Berufe aus unserer Branche erlernen oder ausüben wollen, bekommen wir Bewerbungen von überall her. Es gibt einige BewerberInnen, die extra umziehen oder eine Anreise von zwei Stunden in Kauf nehmen würden. Ein interessanter Job überwiegt scheinbar dem Standort, wenn der Standort überhaupt einen Nachteil darstellt. Das kann sich natürlich noch im Laufe der Zeit ändern, vor allem im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Besonders bei jungen Menschen, bei denen familienfreundliche Pluspunkte nicht so sehr im Fokus stehen. Falls dieser Fall eintreten sollte, werden wir die Vorteile noch plakativer kommunizieren. Aktuell zeigt sich aber kein Handlungsbedarf.

Foto: Ryan Fields/Unsplash

Wie ist es so als Working Mom in Hückelhoven? Wie steht’s um Betreuungsmöglichkeiten und Vereinbarkeit bei Euch?

Gut ist es und wahrscheinlich einfacher als wenn ich jeden Tag in die Stadt fahren müsste. Die ersten Jahre ist mein Nachwuchs nämlich mit mir in die Agentur gefahren. Der Besprechungsraum wurde zusätzlich zum Schlaf- und Wickelbereich. Ein paar Regale sehen jetzt aufgrund der Bauklötze und Spielsachen bunter aus als vorher. Das klappt erstaunlich gut, da man in unserem Job zwischenzeitlich auch auf Freigaben oder Rückmeldungen wartet, wird diese Zeit nun nicht mit Kicker spielen verbracht, sondern man liest mit dem Kleinen ein Buch. Allgemein spielt mein Sohn auch einige Zeit für sich alleine und lernt dabei, dass Mama nicht immer sofort Zeit hat. Das alles entschleunigt mich und auch die MitarbeiterInnen, die den Nachwuchs lieben.

Jetzt wo er im Kindergarten ist, bin ich bis mittags im Büro, danach im Home-Office oder gemeinsam mit ihm in der Agentur. Wenn nicht aufgrund der aktuellen Situation andere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Ich bin in einer viertel Stunde im Kindergarten. Von Düsseldorf aus wäre zeitlich gar nicht daran zu denken gewesen, ihn bereits mittags abzuholen oder schnell da zu sein, wenn er krank ist. Und wenn er keinen Mittagsschlaf mehr macht, könnte ich ihn nachmittags noch für zwei Stunden in den Kindergarten bringen. Das lohnt sich aber nur bei kurzen Wegen. Zudem hat mein Mann einen familienfreundlichen Arbeitgeber und kann seine Arbeitszeiten während meiner Arbeits-Hochphasen anpassen und den Nachwuchs übernehmen. Familie und Freunde wohnen in der Nähe und können bei Engpässen zusätzlich einspringen.

Welches Learning hinsichtlich Deiner Work-Life-Balance nimmst Du aus diesem Jahr mit in die Zukunft?

Man ist immer wieder erstaunt, was man so alles meistern kann. Besonders aufgefallen ist mir, wie wichtig klare Kommunikation ist. Mit meinem Mann habe ich mich genau abgesprochen, wer welche Stunden am Tag für welchen Job braucht und wer sich dann um das Kind kümmern kann oder die Familie mit Essen versorgt. Und es hat sich noch mehr gefestigt, dass der normale Arbeitstag keine festen Zeiten haben muss. Spielzeiten während des Tages können auch wieder neue Energie und Einfälle für den nächsten Job bringen. Entspannt bleiben, selbst wenn das sicherlich nicht immer gelingt, die Dinge nehmen, wie sie kommen und eventuell noch einmal um planen. Daran denken, dass man nicht alleine ist und nicht alles alleine stemmen muss. Mir hilft es auch sehr, mir am Ende des Tages in Erinnerung zu holen, was alles gut gelaufen ist. Am Tag passieren so viele gute Dinge, die wir schnell für selbstverständlich ansehen. Gutes Essen, Zeit mit dem Kind und der Familie, ein abgeschlossenes Projekt und vieles mehr. Man darf den Fokus nicht auf die paar Prozent des Tages legen, die nicht so gut gelaufen sind. Think positiv ist bei mir mehr als eine hohle Phrase!

Wir bedanken uns herzlich für das spannende Gespräch. Wer mehr über Sarah Hackemüller erfahren oder direkt mit ihr in Kontakt treten kann, findet sie zum einen im Mama Meeting Business Club und natürlich über die Seite ihrer Agentur PRODUCTION UNIT.

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