Die fristlose Kündigung in der Kindertagespflege

In 4 Monaten gab es keine Woche, in der ihr Kind voll von der Tagesmutter betreut wurde. Darum kündigte Anett Niebel, Anwältin, Mutter und MMBC-Member, den Vertrag mit der Tagesmutter fristlos. Diese meldete die Kündigung jedoch verspätet an die Stadt. Die Eltern sollten darum weiterhin Elternbeiträge zahlen, für eine Leistung, die sie nicht mehr beanspruchten. Im folgenden Gastbeitrag teilt Anett Niebel darum ihr juristisches Wissen zum Thema Tagesmutter-Kündigen und Elternbeiträge, um anderen Eltern wichtige Grundlagen für ähnliche Fälle an die Hand zu geben.

#GASTBEITRAG

Anett Niebel ist Juristin, MMBC-Member und Mutter.

Einspruch gegen „Haben wir immer so gemacht“

Die drei Sätze „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Das haben wir noch nie so gemacht“ und „Da kann ja jeder kommen“ werden im Deutschen umgangssprachlich auch als „Beamten-Dreisatz“ bezeichnet. Fand ich witzig, dachte aber nie, dass dies traurige Realität sein könnte. Wenigstens die meisten Unternehmen, in denen oft alte, grauhaarige, patriarchische Männer mit solchen Sätzen gegen Neuerungen agierten, haben überwiegend wohl begriffen, dass man mit derartigen Sätzen nicht weiterkommt und öffnen sich durch neue Arbeitsmodelle, fairer Bezahlung auch für Frauen und entsprechenden Karrierechancen dem „new work“ unserer Zeit. Vor allem ist es jedoch entgegen der vorgenannten drei Sätze in der heutigen Zeit wichtig und bei den meisten doch auch unzweifelhaft angekommen, dass das eigene Handeln immer hinterfragt werden sollte, ob es entweder noch zeitgemäß oder aber überhaupt richtig ist. In anderen Bereichen müssen wir Mütter bzw. wir Eltern jedoch offenbar weiter gegen diese unfassbar stumpfsinnigen Sätze kämpfen. Und das habe ich gerade gemacht: 3 Jahre lang gegen die Stadt K.

Kündigung der Tagesmutter bei vermehrtem Ausfall der Betreuung

Unser Fall (sehr) kurz zusammengefasst: Unser damals 1 ½ jähriger Sohn war in der Betreuung bei einer Tagesmutter. Ständige Schließungen aus fadenscheinigen Gründen und behauptete Krankheiten sorgten dafür, dass unser Sohn über 4 Monate nicht eine einzige Woche komplett in der Betreuung bei der Tagesmutter verbrachte. Zum Schluss eskalierte die Situation und wir kündigten der Tagesmutter fristlos. Unsere Tagesmutter erlag dem Trugschluss, man könne ihr nicht fristlos außerordentlich kündigen, da dies in ihrem Betreuungsvertrag nicht vorgesehen sei und nahm mit derselben Bemerkung – auch noch grinsend – unsere Kündigung entgegen. Oh doch, man kann! Und dies muss entgegen der Ansicht vieler gerade nicht vertraglich festgehalten sein, sondern ergibt sich aus bereits dem Gesetz (§ 626 BGB). Dort ist die gesetzlich vorgesehene fristlose Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund geregelt, wenn dem Kündigenden nach vollständiger Interessensabwägung die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist nicht zumutbar ist.

Tagesmutter akzeptiert Kündigung nicht, meldet Kündigung nicht an die Stadt

Das Verhalten der Tagesmutter war das Eine. Viel mehr aufgeregt hat mich die Reaktion der Stadt K. Unsere Tagesmutter meldete unser Kind nämlich nicht entsprechend der fristlosen Kündigung per sofort ab, sondern – durch ein entsprechendes Formular – erst 3 Monate später, was einer ordentlichen Kündigung entsprach. Wir haben der Stadt K. jedoch bereits vorher die Umstände der ausgesprochenen fristlosen außerordentlichen Kündigung mitgeteilt. Die Stadt K. interessierte sich jedoch in keiner Weise für unsere Schilderung oder die Umstände der fristlosen Kündigung und sagte, dass die Abmeldung erst 3 Monate später durch das Formular der Tagesmutter für sie bindend sei und verlangte von uns für die kommenden Monate weiter den Elternbeitrag (der zumindest hier eine astronomische Höhe hat), weil, „das habe man schon immer so gemacht“.

Recht auf Seiten der Eltern, aber die wenigstens wissen das

Ich bin Rechtsanwältin. Zwar in einem völlig anderen Rechtsgebiet, aber dieses Verhalten der Stadt K. kam mir schlicht juristisch falsch vor. Zudem machte es mich natürlich unheimlich wütend, dass der zugrunde liegende Sachverhalt nicht einmal im Ansatz von irgendwem geprüft und zur Kenntnis genommen wurde – unabhängig wie dann die abschließende Wertung (fristlose Kündigung gerechtfertigt oder nicht) ausfallen würde.

Die Grundlage für Elternbeiträge fällt weg, wenn der Betreuungsplatz gekündigt wurde

Die Grundlage für die Erhebung der Elternbeiträge findet sich in §§ 1 Absatz 1 und § 2 Absatz 1 Satz 1 der Satzung der Stadt K. Danach haben Eltern von Kindern, für die ein gültiger Betreuungsvertrag mit einer Kindertageseinrichtung besteht und für die ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht, monatlich öffentlich-rechtliche Beiträge zu entrichten. Danach ist schon mal deutlich, dass wenn der Betreuungsplatz meines Kindes früher an ein anderes Kind weitergegeben wird, ich für diese Monate keinen Elternbeitrag mehr zu zahlen habe, denn dann steht der Betreuungsplatz meinem Kind gerade nicht mehr zur Verfügung, sondern einem anderen Kind. Weiteres Merkmal ist jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut der Satzung ebenfalls das Bestehen eines gültigen Betreuungsvertrages und gerade hierauf haben wir uns berufen, da nach der unseres Erachtens wirksamen fristlosen außerordentlichen Kündigung ein Betreuungsvertrag ab sofort nicht mehr bestand. Dazu muss man auch ein wenig das juristische Konstrukt hinter der Sache verstehen: Die Eltern zahlen den monatlichen, einkommensabhängigen Elternbeitrag an die Kommune und diese zahlt die monatliche (deutlich höhere) Förderung für die Betreuung des Kindes an die Tagespflegeeinrichtung – in unserem Fall knapp 1.200 EUR monatlich. Fällt nun unsere Beitragspflicht der Eltern weg, weil der Betreuungsvertrag wirksam gekündigt wurde, fordert auch die Stadt K. die zu Unrecht erhaltene Förderung bei der Tagespflegeperson zurück. Gleichsam haben die Eltern natürlich einen privaten Betreuungsvertrag mit der Tagespflegeperson.

Wenn „Haben wir immer so gemacht“ nicht nur unfair, sondern unrecht ist

Mit stoischer Gelassenheit wiederholte die Stadt K. im Widerspruchsverfahren als auch vor dem Verwaltungsgericht, die Frage, ob ein Betreuungsvertrag fristlos gekündigt wurde oder nicht, ginge sie nichts an. Dies sei vor den Zivilgerichten – also zwischen den Eltern und der Tagespflegeperson direkt – aufgrund des zwischen den Eltern und der Tagespflegeperson bestehenden Betreuungsvertrages zu klären. „Das haben sie schon immer so gehandhabt.“ Warum dies denn so sei bzw. so gehandhabt wurde, blieb sowohl für uns als auch das Verwaltungsgericht im Dunkeln, denn eine Begründung erfolgte freilich nicht. Über Seiten begründeten wir unsere Rechtsposition und bekamen als Antwort hierauf schlicht Nichts zurück außer dem Beamtendreisatz. Meine Frustration brachte mich fast zum Platzen!

Selbst als die die zuständige Richterin in der mündlichen Verhandlung die Mitarbeiter der Stadt K. fragt, warum die fristlose Kündigung nicht geprüft worden sei, war die Antwort hierauf schlicht: „Haben wir schon immer so gemacht.“ Außerdem handele es sich um ein Massengeschäft, bei dem man keine Einzelfälle prüfen könne.

Auch das Gericht verstand diese Haltung der Stadt K. nicht und äußerte in der mündlichen Verhandlung deutliche Bedenken gegen diese Ansicht. Im Urteil des Verwaltungsgerichts heißt es dann zur Prüfpflicht des Verwaltungsgerichts als auch der Stadt K., ob ein gültiger Betreuungsvertrag denn noch besteht oder durch Kündigung beendet wurde:

 

„Gemäß § 17 Abs. 2 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Da das Vorliegen eines gültigen Betreuungsvertrages Tatbestandsvoraussetzung für die Festsetzung von Elternbeiträgen ist, war auch vollumfänglich darüber zu befinden, ob dieser Vertrag wirksam durch die außerordentliche Kündigung am 13.12.2018 gekündigt worden ist. (…) Dass die Prüfung im Hinblick darauf, dass das Jugendamt auf Informationen der Eltern und der Tagespflegeperson zu den Umständen der Kündigung angewiesen ist, nicht erfolgt oder nur auf eine Evidenzkontrolle beschränkt bleiben soll, ist weder dem Wortlaut der § 90 SGB VIII, § 23 KiBiz noch der Satzung der Beklagten zu entnehmen. Auch die Abmeldungs-mitteilung ist nicht konstitutiv für die Beendigung des Betreuungsvertrages. Sie stellt keinen privatrechtlichen Vertrag dar, sondern eine bloße Mitteilung an die Beklagte. (…) Die Vorschrift soll dafür sorgen, dass die für die Beitragserhebung zuständige Kommune (Jugendamt) die hierfür erforderlichen Daten erhält. Darin kann jedoch nicht zugleich eine materiell-rechtliche Regelung der öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht und der damit korrespondierenden Inanspruchnahme dahingehend gesehen werden, dass hierüber allein das vom Einrichtungsträger mitgeteilte Abmeldedatum entscheidet. Dem steht entgegen, dass nicht geregelt ist, was genau unter einer Abmeldung zu verstehen ist, von wem diese im Verhältnis zwischen Einrichtungsträger und Kindeseltern vorgenommen werden kann und wie genau das Datum einer solchen Abmeldung zu ermitteln ist.“

Anetts Rat für betroffene Eltern:

Natürlich ist man in solchen Situationen aufgewühlt, wenn man einer Tagespflegeperson außerordentlich fristlos kündigt. Das ist schließlich nur in Ausnahmesituationen möglich und muss daher sehr belastend für die jeweiligen Eltern sein. Allein deshalb empfehle ich in einem solchen Fall stets den Rat eines Rechtsanwalts einzuholen, der die Angelegenheit emotionsfrei und sachlich bewertet. Dieser kann meist grob einschätzen, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht. Aufgrund der gemäß § 626 BGB vorzunehmenden Interessensabwägung kann das Gericht bzw. die beitragserhebende Kommune dies jedoch so oder so sehen. „Rechtsrat ist teuer“ heißt ein Sprichwort, weshalb nicht rechtschutzversicherte Eltern den Gang zum Rechtsanwalt oft scheuen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren in solchen Elternbeitragssachen ist nach § 188 Satz 2 VwGO jedoch gerichtskostenfrei und man kann sich selbst vertreten, d.h. man braucht keinen Rechtsanwalt. Ihr könnt daher durchaus versuchen euch selbst gegen die Ansichten eurer Behörde gegen die Erhebung des Elternbeitrags zu wehren, ohne ein großes Kostenrisiko einzugehen. Denn die Behörde vertritt sich fast immer selbst, was dann auch keine gegnerischen Anwaltskosten auslöst. In den Erhebungsbescheiden werdet ihr immer auf die einzuhaltenden Fristen und möglichen Rechtsbehelfe durch die Behörde hingewiesen, sodass ihr euch daran sehr gut orientieren könnt. In unserem konkreten Fall werden wir allerdings die Kosten des Rechtsanwaltes der Tagesmutter zu tragen haben, was für uns jedoch erwartet wurde und gerade noch zu verschmerzen ist.

Vor der Kündigung der Tagespflege muss die Abmahnung erfolgen

Wir haben unser Verfahren letzten Endes zwar nicht gewonnen und ja, das frustriert ein bisschen, denn es hat lediglich an einer klitzekleinen Voraussetzung gefehlt: der vorherigen Abmahnung der Tagesmutter vor der außerordentlichen Kündigung. Aber etwas viel Wichtigeres habe ich gewonnen: Die Erkenntnis, dass ich über ein gesundes Rechtsempfinden verfüge. Und vielleicht habe ich auch ein bisschen etwas für alle Eltern gewonnen: Nämlich die festgestellte Notwendigkeit der Abkehr der Stadt K. von ihrem Beamtendreisatz durch das Verwaltungsgericht. Lasst unsere Eltern bei Problemen bei der Kinderbetreuung durch Tageseltern nicht alleine! Diese Situation ist bereits belastend genug. Und prüft verdammt nochmal, ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, denn das wird euch durch dieses Urteil des Verwaltungsgerichts aufgegeben.

Anett Niebel,

Rechtsanwältin und Mutter von zwei wundervollen Kindern, die danach eine liebevolle Betreuung in einer Kindertagesstätte gefunden haben

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