Es ist ein der größten Tabus im Berufsalltag: Der Kinderwunsch. Während Frauen (und Männer) sich persönlich Gedanken dazu machen, wann sie Kinder bekommen möchten, gilt die Regel im Job: Über Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird erst gesprochen, wenn die werdenden Eltern Termine von Mutterschutz oder Elternzeit ankündigen. Die Tradition über eine Schwangerschaft nicht vor der 12 Woche zu sprechen und Fehlgeburten sowie unerfüllten Kinderwunsch gar nicht zu thematisieren, stellt für viele Frauen eine emotionale und organisatorische Herausforderung dar. Wie soll man zuverlässig im Job seine Höchstleistung bringen, wenn das Herz trauert, eine monatlich neue Hoffnung die ganze Konzentration einfordert oder man vor den KollegInnen lügen muss, um nicht als Schwangere „enttarnt“ zu werden.
Irene Walter ist Coach und Expertin für betriebliches Gesundheitsmanagement. Sie unterstützt und begleitet Frauen auch bei der Vereinbarkeit von Kinder- und Karrierewunsch. Wir haben mit ihr darum über das Thema unerfüllter Kinderwunsch im Job gesprochen:

Irene Walter ist Coach und Expertin für Gesundheitsmanagement aus Wien.
Sie begleitet Frauen u.a. beim Kinderwunsch, durch die Schwangerschaft, nach traumatischen Geburtserlebnissen, der Karriereplanung für den Wiedereinstieg und legt dabei einen ihrer Schwerpunkte auf die Burn-Out-Prävention.
Unter kindundkarriere.at blogt sie zu Themen rund um Vereinbarkeit, Kinderwunsch und Karriere.
Liebe Irene, über Kinder und Vereinbarkeit redet man erst, wenn sie da sind. Was hältst Du davon? Was findest/fändest Du gut?
Aus meiner Sicht gibt es hier unterschiedliche Perspektiven, aus denen man diese Frage betrachten kann: Einerseits kann/ soll die Kommunikation zu diesem Thema jede Frau und jeder Mann für sich selbst so handhaben, wie er/sie sich wohl damit fühlt. Das ist denke ich aus individueller Sicht das Wichtigste. Andererseits ist aus gesellschaftlicher bzw. wirtschaftlicher Perspektive diesbezüglich noch viel Luft nach oben. Denn Kinderwunsch / Familienplanung ist ein Thema, über das man im Freundeskreis zwar locker reden kann, das aber im Beruf aufgrund von Diskriminierungserfahrungen bei vielen Menschen eine Hemmschwelle erzeugt. Wenn ich in einem Unternehmen arbeite, in dem ich beobachten kann, dass Karenzrückkehrer*innen per se die „übrig bleibenden“, deutlich weniger beliebten oder weniger anspruchsvollen Tätigkeiten (im Vergleich zum Job vor Karenz) bekommen, werde ich vermutlich tunlichst nicht über Kinderwunsch oder Familienplanung sprechen und mir entweder noch vor Beginn mit der Familienplanung oder später während der Karenz – falls sich keine gute Lösung für den Wiedereinstieg mit dem Arbeitgeber findet – eine bessere Alternative suchen. Arbeite ich jedoch in einem Unternehmen, in dem die unterschiedlichen Lebensphasen und deren Bedürfnisse (Karenz, Teilzeit usw.) für selbstverständlich angesehen und auch wertgeschätzt werden (bzw. zumindest mit keinen Nachteilen verbunden sind), ist meine persönliche Hemmschwelle vermutlich deutlich geringer und ich traue mich dementsprechend auch offen über dieses Thema zu sprechen.
Wie wirkt sich ein unerfüllter Kinderwunsch auf die Leistungsfähigkeit und Karrieren von Frauen aus?
Ich glaube das ist ganz individuell. Im Allgemeinen ist es eine belastende Situation für das betreffende Paar. Viele, für die Familiengründung seit der Jugend bzw. dem jungen Erwachsenenalter ein fixer Bestandteil des persönlichen Lebensplanes war, trifft ein unerfüllter Kinderwunsch besonders hart. Einige andere wiederum, die sich von Beginn an unsicher waren ob sie Kinder wollen und es dann eine Zeit lang ohne Erfolg versuchen, können das Thema schneller abhaken.
Ich denke, was betroffene Paare in dieser Situation so stark belastet, ist, dass sie mit der unbewusst in uns allen verankerten, gewohnten Strategie unserer Leistungsgesellschaft („Wenn ich mich mein Allerbestes gebe, alle verfügbaren Möglichkeiten ausschöpfe, dann erreiche ich mein Ziel!“) bei diesem Thema nicht weiterkommen. Im Gegenteil: Je mehr sie sich darauf konzentrieren, je mehr Energie sie ins Schwangerwerden stecken, umso schlechter funktioniert es. In weiterer Folge werden sie verbissen, gereizt und frustriert. Sie fühlen sich, als hätten sie versagt.
Hinzu kommt, dass einige durch die IVF-begleitende Hormontherapie auch körperliche oder psychische Nebenwirkungen verspüren, wie beispielsweise Gewichtszunahme, Hitzewallungen oder Stimmungsschwankungen.
In jedem Fall ist es wichtig, das eigene Wohlbefinden ernst zu nehmen und professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn man merkt dass einem dieses Thema die Lebensqualität raubt. Ein unerfüllter Kinderwunsch kann in letzter Konsequenz zu Depressionen, Burnout, Suizidgedanken und anderen Krisensituationen wie Scheidung oder Trennung führen. Wir alle kommen im Laufe unseres Lebens in Situationen, in denen wir uns nicht alleine aus einem Tief herausholen können. Sich in solchen Phasen Unterstützung zu holen ist keine Schande, sondern im Gegenteil – ein Zeichen von Stärke und Self-Awareness.

Wie unterstützt Du in dieser Situation?
Als Coach und psychologische Beraterin bin ich in erster Linie eine neutrale, diskrete Stelle, bei der man sich ausheulen und Frust ablassen kann. Bei mir gibt es keine „gut gemeinten“, oft ungebetenen Ratschläge, wie meine Kund*innen sie von Freunden, Verwandten etc. kennen. Die Gefühle dürfen ungefiltert raus, ohne in irgendeiner Form bewertet zu werden und ohne zu Lösungsvorschlägen zu führen.
Danach geht es mir darum meine Kund*innen zu begleiten, sich mit ihrer größten Angst (z.B. des Lebens ohne eigene Kinder, Einsamkeit, o.ä.) auseinander zu setzen. Nicht bloß durch Reden, sondern durch bewusstes Zulassen und Durchleben dieser intensiven Angst. Das kostet Überwindung und ist auch mitunter schmerzhaft. Deshalb braucht es dabei unbedingt eine professionelle Begleitung. Doch wenn man es schafft sich auf diesen intensiven, hypno-meditativen Prozess einzulassen, kann das unglaublich befreien.
Es bewirkt nämlich im Idealfall, dass die Angst enorm an Gewicht verliert und etwas Neues, eine neue Erfahrung entsteht.
Wenn man es in weiterer Folge schafft, step by step darauf zu vertrauen, dass das Leben es letztlich gut mit mir meint und alles so kommen wird, wie es gut für mich ist (ob mit oder ohne Kinder), dann hat man enorm viel Lebensqualität zurückgewonnen. Aber natürlich: Das kann je nach individueller Situation auch einige Zeit dauern, besonders wenn einem der unerfüllte Kinderwunsch schon jahrelang begleitet und belastet.
Da ich mich seit meinem Studium sehr stark für Gesundheit interessiere, versuche ich darüber hinaus auch mein Wissen im Hinblick auf den Einfluss eines gesundheitsfördernden Lebensstils weiterzugeben. Denn die Wissenschaft entwickelt sich laufend weiter und enthüllt teils verblüffende Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Gesundheit/ Fruchtbarkeit. Für mich sind wir als Mensch ein System, in dem Körper, Geist und Seele sich ständig wechselseitig beeinflussen und beispielsweise Beschwerden in einer ganz anderen Körperregion auf mögliche Zusammenhänge zur Fruchtbarkeit betrachtet werden sollten. Ich betrachte Fruchtbarkeit also nicht getrennt von unserer allgemeinen Gesundheit. Dazu führe ich nach dem Erstgespräch eine detaillierte Lebensstil-Analyse durch und empfehle bei Bedarf eine Abklärung durch Fachärzte, die Durchführung spezieller Untersuchungen etc.. In den letzten Jahren habe ich mir ein Netzwerk an Fachärzt*innen, Ganzheitsmediziner*innen und anderen Gesundheitsberufen aufgebaut, die ich empfehlen kann.
Meine Kund*innen sehen mich als mentale Wegbegleiterin, die sie kontaktieren und in Anspruch nehmen können, wann immer sie das Gefühl haben wieder einmal eine Einheit für ihr Wohlbefinden zu brauchen (z.B. um wiederkehrende Ängste oder Zweifel anzugehen).
An dieser Stelle ist es mir auch wichtig zu erwähnen, dass ich selbst – wenn ich das Gefühl habe es zu brauchen – Coaching in Anspruch nehme. Es tut mir sehr gut, ab und zu bewusst eine externe, mentale Unterstützung zu haben. Ich würde sogar sagen: Es ist ein wichtiger Bestandteil meines (beruflichen und privaten) Erfolges. Wir müssen endlich weg von dem Bild, alles allein schaffen zu müssen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Ein Großteil der Spitzensportler*innen und Manager*innen haben beispielsweise Coaches.

Auch wenn das Schwangerwerden klappt, schleppen wir uns als werdende Mütter durch die ersten Wochen und Lügen unser berufliches Umfeld an. Was macht das mit uns Frauen?
Viele empfinden es als sehr belastend. Sich in den ersten 2-3 Monaten der Schwangerschaft in Schweigen zu hüllen, im schlimmsten Fall mit dem Gefühl jeden Moment kotzen zu müssen (starke Schwangerschaftsübelkeit hab ich selbst ab Woche 8 erlebt, ich fühle mit, wenn mir jemand davon erzählt 😊). Hier gibt es noch viel Luft nach oben in der Arbeitswelt. Unternehmen brauchen eine Kultur, die familienfreundlich bzw. Work-Life-Balance-freundlich ist und in der sich Schwangere und auch wiedereinsteigende Mütter nicht vor etwaigen beruflichen Nachteilen aufgrund der (bevorstehenden) Elternschaft fürchten müssen. Selbes gilt für Väter: Auch sie dürfen nicht diskriminiert werden, wenn sie in Väterkarenz oder Elternteilzeit gehen möchten.
Was können Unternehmen tun, damit werdende Mütter und Frauen mit Kinderwunsch sich wohl fühlen und gesund bleiben?
Es braucht in erster Linie einen offenen Zugang zu den unterschiedlichen Lebensphasen, die das Erwerbsleben begleiten und den damit verbundenen Auszeiten. Die Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens hat mir beispielsweise vor kurzem erzählt: „Bei uns gibt es keine große Aufregung um das Thema. Kinder zu bekommen bzw. Familie zu haben gehört dazu. Das ist etwas Natürliches und es kann sich für alles eine Lösung finden (im Sinne von Vertretung etc.). Wenn mir jemand sagt, er/ sie möchte nach einem Jahr wiederkommen, antworte ich: Schauen wir mal. Lass das auf dich zukommen! Das kannst du später noch entscheiden! Mir ist es wichtig ein offenes Ohr zu haben und dass Beschäftigte sich nicht scheuen, solche Themen mit mir zu besprechen.“ Ich denke so ein Mindset und eine möglichst unkomplizierte, offene Herangehensweise an das Thema bräuchte es.
Je größer das Unternehmen, desto wichtiger wird auch die strategische Auseinandersetzung mit dem Thema „Familienfreundlichkeit“. Ziele sollten definiert und zugehörige Maßnahmen erarbeitet und konsequent umgesetzt werden, beispielsweise die Einführung eines Karenzmanagement-Prozesses oder Investitionen in die Führungskräfte-Entwicklung. Denn schließlich füllen Führungskräfte die Kultur eines Unternehmens entweder mit Leben oder bringen sie zum Scheitern.
Du begleitest und berätst auch nach der Geburt, insbesondere bei der Aufarbeitung von Belastungen in Schwangerschaft und bei der Geburt. Was brauchen Frauen, die eine „harte“ Schwangerschaft oder unerwartete Zwischenfälle bei der Geburt erlebt haben?
Wenn dadurch prägende, negative Erinnerungen entstanden sind oder sich starke Ängste entwickelt haben, die die Lebensqualität einschränken, sollten diese aufgearbeitet werden. Wir geben diese andernfalls ständig (teils unbewusst) an unser nahes Umfeld (Kind(er), Partner,..) weiter und das belastet letztlich alle Beteiligten. Meine wichtigste Message ist hier: Verdränge das Erlebte nicht, sondern arbeite es mit professioneller Unterstützung auf! Du hast es dir verdient dich gut zu fühlen! (…und auch auf dein Umfeld wirkt sich das positiv aus 😊)

Gibt es etwas, das wir Frauen für uns selbst tun können/sollen, wenn wir mit Themen wie unerfülltem Kinderwunsch oder Belastungen in der Schwangerschaft struggeln? Hast Du einen Tipp?
Beschäftige dich intensiv mit deiner Gesundheit (körperlich und psychisch). Richte den Fokus auf dein Wohlbefinden, beispielsweise mit diesen 2 Fragen:
1.) Was brauchst du damit es dir gut geht?
2.) Wie kannst du das regelmäßig in deinen Alltag integrieren?
Nimm dir im ersten Schritt lieber weniger vor, also was kannst du als Minimum tun? Erst wenn du das regelmäßig schaffst, steigere deine Ziele.
Halte dir vor Augen: Du selbst entscheidest jeden Tag mit deinem Lebensstil ob du einen Schritt mehr in Richtung Gesundheit/Wohlbefinden oder in Richtung Krankheit gehst. Wellness vs. Illness!
Wir bedanken uns ganz herzlich für das spannende Gespräch. Mehr zu Irene Walter und ihren Themen findet ihr hier.