„Musst Du denn wirklich arbeiten?“, ist eine Frage die Kindergarten-Mütter aktuell häufig hören, dabei sollte dies gar keine Frage sein.

Wird nach dem Valentinstag wieder alles gut? Kehren wir am 15.02.2021 zurück zur alten Normalität, bleiben wir bei der aktuellen oder kommt noch eine brandneue? Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie rasant Veränderungen möglich sind, doch reißt sie auch bisher nur notdürftig verarztete Wunden unseres sozialen Systems auf. Die Berufstätigkeit von Müttern ist so eine Schwachstelle.

Die Doppelbelastung für Mütter war lange Zeit gesetzlich verankert

Bis zur Eherechtsreform 1977 stand im Rechtstext der BRD, dass Ehefrauen zur Führung des Haushaltes verpflichtet waren, dazu zählte auch die Betreuung der Kinder. Es ist die Verordnung der Doppelbelastung. Denn auch wenn verheiratete Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgingen, was zu diesem Zeitpunkt möglich war, hatten sie auch zu Hause am Herd zu stehen. Wer mehrere Jobs hat, wird auch heute noch nach Prioritäten gefragt. Was ist denn dann der Hauptjob und was der Nebenjob? Bist Du in erste Linie Mutter und Ehefrau? Oder sind Deine Kinder nur eine Nebentätigkeit? Puh… Beides? Hm.. „Beides?“, antwortete die berufstätige Mama Anfang der 70er.  „Hm, ja, Frauen können halt nicht so gut Entscheidungen treffen“, hat sie vermutlich als Antwort bekommen.

Warum tun sich Frauen das an?

Andere, die die Doppelbelastung sahen, fragte sich „Warum?“ Warum tut sie sich das an? „Musst Du wirklich arbeiten?“, fragten schon damals die Nachbarn. Es ist schockierend zu sehen, wie sehr Frauen in der Geschichte immer wieder darum kämpfen „mussten“ arbeiten zu „dürfen“.

Arbeit und Spaß gehen nicht zusammen

Das wirklich Heikle ist, und da springen wir zurück ins Jahr 2021, das Arbeit ein echt schlechtes Image hat. „Musst Du denn wirklich arbeiten?“ Denn Arbeit gilt zu häufig als das Gegenteil von Spaß. Was Spaß macht, das ist doch keine Arbeit und wer hart arbeitet, der hat keinen Spaß. Wenn Du Deinen Job jetzt also wirklich gerne machst, machst Du ihn dann, weil Du MUSST? „MUSST Du wirklich arbeiten?“ Puh, ja, also wenn ich beim Finanzamt frage, ob ich wirklich Steuern zahlen MUSS, dann sagen die sehr klar: „Ja.“ Wenn ich bei meiner Bank frage, ob ich den Kredit für die Eigentumswohnung wirklich zurückzahlen MUSS, dann sagen auch die sehr klar: „Ja.“ Wenn ich an der Supermarktkasse frage, ob ich die Einkäufe wirklich zahlen MUSS, dann sagt man mir auch da: „Ja“. MUSS ich also Arbeiten? Ja. Aber es MUSS sich auch mies anfühlen, sonst zählt es aktuell nicht. Muss man hassen, was man tut, um sagen zu können „Ich muss arbeiten?“.

Arbeiten ist nicht verpflichtend

In der aktuellen Debatte kommen wir immer weiter weg von selbstständig und verantwortungsbewusst entscheidenden Individuen und sehen uns in einem Netz aus immer mehr Regeln. Masketragen ist Pflicht. Abstand halten ist Pflicht. Im Fall einer Infektion in Quarantäne bleiben, ist Pflicht und keine individuelle Entscheidung. Das alles ist insofern angebracht, als dass gerade das Interesse des Kollektivs über dem des Individuums steht. Ungeklärt ist dabei allerdings die Sache mit dem Arbeiten. Ist Arbeiten Pflicht? MUSS ich arbeiten? Es ist gibt eine allgemeine Schulpflicht, die jedes Kind betrifft.

Aber eine Arbeitspflicht gibt es allgemein nicht, sondern immer nur in Verbindung mit individuellen Arbeitsverträgen. Gehe ich einen Arbeitsvertrag ein, verpflichte ich mich gegenüber meinem Arbeitgeber zu bestimmten Arbeitszeiten und Tätigkeiten. Und dieser Vertrag ist eben kein Gesetz und darum kündbar. Bin ich mit dem Arbeiten unzufrieden, kann ich den Vertrag kündigen. Ich habe keine Verpflichtung dem Kollektiv gegenüber zum Arbeiten. Und das ist gerade die Krux.  Es ist sehr positiv, dass wir in einem Land leben, in dem es niemanden vorgeschrieben werden, ob er/sie arbeitet oder nicht und was er/sie tut. Von 1900 bis 1957 war es verheirateten Frauen beispielsweise gesetzlich auferlegt, sich um den Haushalt und die Kinder zu kümmern.

Vor 1977 mussten Männer arbeiten und Frauen den Haushalt führen

Hätte es 1952 eine Pandemie in Deutschland gegeben, wäre es staatlich möglich den die Hausfrauen zum „Kinderhüten“ und Home Schooling zu verpflichten, weil sie Frauen waren. Und die Männer hätten die Pflicht gehabt zu arbeiten und die Wirtschaft am Laufen zu halten, weil sie Männer waren. Denn damals ging die Handhabe noch so weit. Im Zuge der Liberalisierung und Gleichstellung unseres Sytems, bekamen die Individuuen mehr Selbstentscheidungsrechte. Niemand muss heute etwas tun, weil er sie ein er oder eine sie ist. Und damit geht es nicht mehr ums „müssen“, sondern ums „wollen“. Inzwischen weiß man, dass motivierte Menschen produktiver arbeiten und das Geschlecht nicht über Talente oder Fähigkeiten entscheidet. Ein Großteil des Absolventinnen suchen sich nach Schule und Studium nicht nur aus finanziellen Gründen einen Job, sondern erwarten auch Selbstverwirklichung, Einfluss auf einen positiven Outcome und nicht zuletzt Spaß.

Eine Frage, die sich nicht stellen dürfte

Wenn ich nun also an der Kita gefragt werden: „Musst Du Denn wirklich arbeiten?“ und ich sage auch „Ja“, bekomme ich einen leicht zornig, leicht mitleidigen Blick zurück. Die arme, die MUSS arbeiten. Antworte ich: „Ich will arbeiten“, finde ich mich kurz darauf in einer Grundsatzdiskussion wieder und ich höre mich sagen: „Wenn Frauen als schwach und bemitleidenswert angesehen werden, weil sie arbeiten MÜSSEN, reißen wir das Pflaster von 1977 weg.“ Und dann kommen wir sehr, sehr weit weg von einer neuen Normalität und reisen zurück in eine längst vergessene Zeit, in der weder leben noch arbeiten möchte.

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