Wir sind weder im Stand-by noch auf Play und sowieso nie auf Pause. Aktuell befinden wir uns im Wenn-das-vorüber-ist-Modus. Wir räumen auf, misten aus und machen Pläne. Jetzt ein Business gründen, jetzt einen neuen Job suchen, jetzt eine neue Sprache lernen? Sorry, aber nicht mit Kind(ern) zu Hause.

Endlose Ferien da – Nicht einmal nachts frei haben hier (zu Hause mit Kindern)

Und da liegt der Unterschied, der gerade mehr rein haut als Gender Pay Gap und Mini-Quoten von Frauen in Führungspositionen. Während der kinderlose Teil der Welt plötzlich der Herausforderung gegenübersteht, was er nur mit all der Zeit anfangen soll, ticken bei uns Working Moms die Deadlines und wir sind so müde, wie seit dem Wochenbett nicht mehr. Denn statt Netflix und chill, schieben wir Früh- und Spätschichten am Computer, um tagsüber fit für die Kids zu sein, das Bad zu schrubben und unseren eigenen Sauerteig anzusetzen. Und währenddessen und dazwischen stellt sich zwischen den Ohren ein Wartezimmergefühl ein. Wann sind wir dran? Wann werden die Schulen wieder für die Kinder der Altersgruppen geöffnet, in die unsere Kids fallen? Wann wird die Liste der systemrelevanten Tätigkeiten um den Job erweitert, mit dem wir unsere Mieten und Kredite zahlen? Warum ist Schuhe verkaufen jetzt wichtiger als Musik komponieren? Warum scheint der Rest der Welt zu denken, dass beides einfach nebenbei mit Kindern geht?

Kinder sind keine Katzen

Für Eltern gibt es eine Ausgleichzahlung, wenn sie ihrer Tätigkeit jetzt wegen fehlender Betreuung nicht nachgehen können. Das zählt aber nicht, wenn die Tätigkeit im Home Office ausgeführt werden kann. Mach’s doch einfach nebenbei, Mama. Das Kind schnurrt Dir halt ein bisschen um die Beine und ab und zu füllst Du den Napf auf. Auch wenn Tierbesitzer von ihren vierbeinigen Familienmitgliedern gerne als ihre Kinder sprechen, gibt es doch immense Unterschiede, was die Pflege der Spezies Mensch im Vergleich zum Meerschweinchen angeht. Kleinkinder rollen sich nicht einfach in ihr Körbchen und schlafen 16 Stunden am Tag. Hinter Schulkindern steht das Bildungssystem, das nun täglich Emails mit Aufgaben schickt, bei denen die Unterstützung der Eltern gefordert ist. Wenn Kinder das einfach allein könnten, müsste man nach der Corona-Krise ja feststellen, dass Schulen völlig unnötig sind.

Das Zuhause kann einen Pool oder nur ein einziges Fenster haben

Alle To Do‘s und Aktivitäten sind jetzt auf den eigenen Haushalt beschränkt. Wir sind Hausmenschen, Hausfrauen, Hausmänner, Hauskinder. Doch das Zuhause, das jetzt alle auf Instagram mit einem Sticker highlighten ist ein nicht-universelles Konzept mit einer variablen Quadratmetergröße von 2000qm-Luxus-Villa bis 20qm-Ein-Zimmer-Apartment. Mit den Kindern zu Hause zu bleiben, wenn die Spielplätze zu sind, ist viel leichter, wenn im eigenen Garten Sandkaste, Klettergerüst und Rutsche stehen.

Kontakterlaubnis nur für Große

Aber selbst dort, wo die Kindern genug Raum zur Ablenkung haben, bleibt die Einsamkeit.  Denn die 2-Personen-Kontakt-Regel übersieht, dass Kinder zwar Personen sind, sich aber nicht allein in der Welt bewegen können. Meine Freundin könnte mich besuchen, doch der Spielkamerad meines Kindes kann nicht kommen, da ein 2-jähriger noch nicht allein irgendwo hin zu Besuch geht. Und auch meine Freundin käme nicht, denn sie ist die Mama dieses anderen 2-jährigen, den sie nicht zu Hause lassen kann, um mich zu treffen. Was nicht mitgedacht wurde, bei all den Regeln ist die Realität unseres sozialen Zusammenlebens. Wichtige soziale Kontakte für Mütter sind andere Mütter und die gibt’s per Mütter-Definition nicht als Einzelperson, an irgendeiner Hand hängt immer noch mindestens ein Kind.

Eintrittsverbote am Supermarkt für Eltern

Dass die Bedürfnisse und Lebensweisen von Kindern völlig außerhalb des gegenwärtigen Fokus stehen, zeigt sich auch an Situationen, wie diesen: In Köln fuhr eine Fahradfahrerin einen 9-jährigen, der mit seinem Rad unterwegs war um. Statt dem Jungen aufzuhelfen, sagte sie „Bei Corona kann ich keinem helfen.“

Die Schwester einer Freundin versuchte in Frankfurt mit ihren beiden Kindern im Supermarkt einkaufen zu gehen, doch wurde an zwei Märkten an der Tür abgewiesen. Zu dritt dürfte sie nicht in den Laden. Sie solle doch eins der Kinder (1 und 3 Jahre) draußen vor der Tür oder im Auto lassen. Die Webseite der Niedersächsischen Landesregierung verweist eine sehr ausführliche FAQ-Liste rund ums Thema Corona bei der Frage danach, welche Hilfe es für Eltern gibt, die weiter arbeiten und ihre Kinder zu Hause betreuen müssen auf eine nicht weiter spezifizierte Hoffnung auf „große Problemlösungskompentenz vor Ort“.

Löst das Problem selbst, liebe Eltern

Vor Ort, das ist ja jetzt der Haushalt, die Einheit Familie. Und so wird in Nachrichten und Sozialen Medien immer wieder darüber gesprochen, dass Eltern im Haushalt nun gemeinsam aushandeln müssen, wer wann arbeiten darf und wer wann die Kinder unterhält, ernährt, unterrichtet. Das Problem der Kinderbetreuung auf die Familie abzuschieben, macht klar, dass Kinder etwas Privates sind und nicht in den gesamtgesellschaftlichen, politischen Verantwortungsbereich fallen. Und selbst wenn die Eltern-Schicht-Arbeit zu Hause funktionieren würde, dann doch nur bei einem Teil der Eltern. Denn, wie es kein universellen Zuhause gibt, so gibt’s auch nicht DIE Familie. Es gibt Alleinziehende, Patch-Work-Familien, über Kontinente getrennt Lebende Partner und vieles mehr.

Auch vor der Corona-Krise war die Kinderbetreuung in Deutschland schon nicht ausreichend

Wenn das Problem im Privaten liegt, dann sind wir auch selbst schuld, wenn wir Arbeit und Job nicht hinkriegen. Da will Mama  einfach zu viel: Job und Kind und auch noch das Brot selber backen, weil man sie sie nicht in den Supermarkt ließ. Da muss sie doch selbst merken, dass sie sich übernimmt. Schon lange bevor Covid-19 unseren Alltag ins Chaos warf, fühlten sich Mütter alleingelassen, fragten sich wie sie Vollzeit arbeiten, aber ihre Kinder pünktlich halb vier an der Kita abzuholen sollten. Wenn man denn einen Platz erhalten hatte und sich nicht eh schon selbst mit Großeltern und Babysittern organisieren musste. Denn schon vor der Corona-Krise gab es nicht einmal für die Hälfte aller Kleinkinder Betreuungsplätze.

Es ging nie nur um Home Office und Digitalisierung, sondern um Respekt und Verständnis

Viele Eltern und ArbeitgeberInnen wurden darum schon vor der Corona-Einschränkungen kreativ. Kaum ein Elternteil sprach nicht von New Work, von der Hoffnung auf mehr Flexibilität durch Home Office und Digitalisierung. Haben wir doch jetzt über Nacht erhalten, oder nicht? Nein. Denn der Kern moderner, flexibler Arbeitsmodelle, die nicht nur Eltern- sondern einfach Menschenfreundlich sind, ist Partizipation, das Mitreden-Können, das Zusammenkommen unterschiedlicher Erfahrungen und Kompetenzen auf Augenhöhe. Eine Ist-ist-weil-ist-so-Hierarchie und One-Size-fits-all-Konzepte sind das Gegenteil von New Work.

Der Ausnahmezustand darf nicht Normalität sein

Im Ausnahmezustand ist alles anders, das kann man sich noch akzeptabel reden. Ist ja nur vorübergehend. Es geht vorbei. Das ist nur der „Wenn-das-vorüber-ist-Modus.“ Doch mit der Verlängerung von Kita-Schließungen und Kontaktverboten, ist plötzlich die Rede von einer „neuen Normalität“.

Eine neue einheitliche Normalität für alle, egal wie unterschiedliche ihre Bedürfnisse sind. Um es mit den Worten meines Sohnes zu sagen: „Nein danke, das möchte ich nicht.“ Es kann nicht normal sein, dass nicht nur Eltern, sondern viele andere Personengruppen, im Diskurs um die Veränderungen unseres beruflichen und gesellschaftlichen Lebens nicht mit einbezogen werden. Es kann nicht nur normal sein, dass es nur ein einziges Familienmodell gibt. Es kann nicht normal sein, dass Menschen der Einkauf von Lebensmitteln verwehrt wird. Es kann nicht normal sein, dass Eltern Burn-Out bekommen. Es kann nicht normal sein, dass wir das alles einfach selber, alleine, zu Hause hinkriegen sollen. 

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