Mir wurde mal eine Visitenkarte überreicht, auf der als Position im Unternehmen stand: Family Member. Bevor ich selbst Familie hatte, fand ich das cool. Heute würde ich die Person fragen: „Bleibst Du dann bei Deiner Kollegin zu Hause, wenn sie krank ist. Fährst Du Deinen Chef zum Fußball und wie häufig streitet ihr über die Wäsche im Office?“ Die Erkenntnis, dass ArbeitnehmerInnen auch Menschen und Arbeitsbedingungen auch Lebensbedingungen sind, beeinflusst, ob und wo wir die Grenze zwischen Privatem und Beruflichem ziehen. Es ist schön, wenn die KollegInnen zur Familie werden (außer es ist die Art von Familie, die sich auf sämtlichen Familienfesten an die Gurgel gehen), aber eins hören wir über unsere Mama Meeting Members häufig: Wenn MitarbeiterInnen Eltern werden, also eigene Familien gründen ist der Wiedereinstieg in die Büro-Familie nicht immer easy.

Merle Tödter ist als HR Managarin bei OTTO für alle (auch angehenden) Eltern zuständig. Denn der Konzern hat es sich zur Aufgabe gemacht auf die individuellen Stärken und Bedürfnisse seiner MitarbeiterInnen (nicht nur der Eltern) einzugehen. Am 18.02.2020 wird uns Merle Tödter auf dem Panel in Hamburg erklären, wie das abläuft und was das für OTTO bringt. Für vier Fragen, haben wir sie vorab schon zu Mama Meeting geholt.
Liebe Merle, Du bist bei OTTO als Sozialreferentin in der Personalabteilung explizit für das Thema bzw. die Zielgruppe Eltern verantwortlich. Wie gängig ist es, dass Unternehmen für diese Personengruppe gezielt handeln und welche “Aufgaben” bringt das mit sich, die im üblichen HR Management nicht üblich wären?
Wie gängig das in anderen Unternehmen ist, kann ich nur schwer beurteilen. Man muss hier auch unterscheiden zwischen kleinen Drei-Mann-Betrieben und großen Unternehmen wie OTTO. Viele große Unternehmen haben eine Sozialabteilung oder Gleichstellungsbeauftragte, die sich mit Themen wie Vereinbarkeit und Familie beschäftigen. Aber auch kleinere Unternehmen müssen sich natürlich Gedanken um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ihrer Mitarbeiter*innen machen. OTTO ist in verschiedenen Netzwerken vertreten, in denen wir uns regelmäßig über das Thema Vereinbarkeit austauschen. Es ist toll zu sehen, dass in den Netzwerken auch kleine Unternehmen vertreten sind. Man muss aber auch berücksichtigen, dass große Konzerne ganz andere Möglichkeiten haben als KMUs. Ich finde es auch schwierig, ein klassisches HR Management zu definieren. Das ist sehr branchen- und größenabhängig. Traditionelle Bausteine sind häufig das Recruitment und die Personalentwicklung, aber jedes Unternehmen hat für sich eigene Strukturen. Bei OTTO arbeiten derzeit etwa 120 Menschen im Bereich HR, daher ist dieser Bereich bei uns noch mal viel kleinschichtiger in einzelne Abteilungen aufgeteilt. Bei uns gehört zum Beispiel das Gesundheitsmanagement mit zu HR sowie eine Diversity-Beauftragte und auch die Sozialberatung, zu der ich gehöre. Wir bieten zum Beispiel Vorträge und Sprechstunden an für (werdende) Eltern, in denen wir zu Themen wie Elternzeit und Vereinbarkeit beraten sowie ein spezielles Coaching für Elternzeitrückkehrer*innen. Zudem haben wir ein Eltern-Kind-Büro und in den letzten Jahren eine Ferienbetreuung für Mitarbeiter*innenkinder angeboten. Auch kooperieren wir mit externen Dienstleistern, die unsere Mitarbeiter*innen bei der Suche nach einer passenden Kinderbetreuung unterstützen. Das sind Bausteine, die es nicht in jedem Unternehmen gibt (die auch nicht jedes Unternehmen braucht), die bei uns aber ein wichtiger Bestandteil des HR Managements sind.
Wie verändert sich Deine Position als HR Managerin bzw. Dein Aufgabenfeld im Zuge von New Work?
OTTO durchlebt bereits seit einigen Jahren einen Kulturwandel. Bisherige Arbeits- und Verhaltensweise wurden und werden weiterhin umgedacht, um uns zum einen an die digitale Entwicklung anzupassen, zum anderen aber auch an die veränderten Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen. Dadurch werden Arbeit und die Ausgestaltung derer immer individueller. Das merke ich auch in meiner Arbeit als HR Managerin. Es gibt kein einheitliches Raster (mehr), dass auf alle Mitarbeiter*innen gleichermaßen gepresst wird. Stattdessen versuchen wir, jede*n Mitarbeiter*in individuell zu betrachten und die jeweilige Lebenslage zu berücksichtigen. Den klassischen nine-to-five Job gibt es bei OTTO so nicht mehr. Durch Gleitzeit und mobiles Arbeiten kann jede*r Mitarbeiter*in flexibel zu der Zeit und an jedem Ort arbeiten. Zudem werden auch die Eigenverantwortung und Selbständigkeit immer wichtiger. Dieser Wandel muss natürlich von HR begleitet werden. Zum einen müssen wir selbst als gute Vorbilder voranschreiten, zum anderen müssen wir auch mit dafür sorgen, dass das geänderte Mindset bei uns umgesetzt werden kann. Auch entsteht durch die Möglichkeit, immer von überall aus arbeiten zu können, bei manchen der innere Druck, immer von überall aus arbeiten zu müssen und abends um 11 Uhr noch mal kurz die Mails zu checken. Das kann sich auch kontraproduktiv auf die Work-Life-Balance ausüben, wenn Mitarbeiter*innen durch die permanente Möglichkeit der Erreichbarkeit nie wirklich abschalten können. Auch dieses Thema kommt häufig in der Sozialberatung bei mir zur Sprache.
"Es gibt kein einheitliches Raster (mehr), dass auf alle Mitarbeiter*innen gleichermaßen gepresst wird."

Du hast Dich bereits während Deines Studiums, besonders bei Deiner Bachelor- und Masterarbeit mit dem Thema Vereinbarkeit und Eltern bzw. Elternzeit auseinandergesetzt. Was hast Du dabei herausgefunden?
In meiner Bachelorarbeit habe ich mich mit später erster Mutterschaft als Vereinbarkeitsstrategie von Kind und Karriere auseinandergesetzt. Bei Akademikerinnen liegt das Durchschnittsalter bei dem ersten Kind deutlich über 30. Viele gut ausgebildete Frauen konzentrieren sich zunächst bewusst auf ihre Karriere und möchten ein gewisses Hierarchielevel erreichen, bevor die Familienplanung beginnt. Sobald dann das Kind aber da ist, zeigen sich aber die gleichen Vereinbarkeitsprobleme, unabhängig vom Altern oder der Position im Job der Frau. Hinzu kommt natürlich der biologische Aspekt. Wenn Frauen, die dich zunächst bewusst auf ihre berufliche Karriere konzentriert haben, nun einen Kinderwunsch entwickeln, kann es zum Teil schon zu spät sein, sodass diese Frauen dann ungewollt kinderlos bleiben. Erst Karriere und dann Kind ist für Frauen daher keine funktionierende Vereinbarkeitsstrategie.
"Viele gut ausgebildete Frauen konzentrieren sich zunächst bewusst auf ihre Karriere und möchten ein gewisses Hierarchielevel erreichen, bevor die Familienplanung beginnt. Sobald dann das Kind aber da ist, zeigen sich aber die gleichen Vereinbarkeitsprobleme, unabhängig vom Altern oder der Position im Job der Frau."
In meiner Masterarbeit habe ich mich dann mit der zweiten Seite, den Männern, befasst. Das Männerbild wandelt sich, viele Männer möchten nicht mehr nur der reine Familienernährer, sondern auch aktiver Vater sein. Dabei stoßen sie allerdings häufig auf Rollenkonflikte, denn das traditionelle Rollenbild lässt sich nicht so leicht ablegen. Zudem haben Männer, wenn sie Job und Kinder miteinander vereinbaren wollen, letztendlich die gleichen Schwierigkeiten wie Frauen, mit dem Zusatz, dass hier zum Teil noch die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt, dass ein Mann in Teilzeit arbeitet, damit er seine Kinder vom Kindergarten abholen kann. Somit müssen also auch Männer individuelle Wege finden, beides miteinander in Einklang zu bringen. In meiner Masterarbeit hat sich dabei gezeigt, dass hier insbesondere die Unternehmenskultur entscheidend für das Gelingen ist. Wenn offen gelebt wird, dass Männer in Teilzeit bzw. mit flexiblen Zeiten arbeiten zugunsten von Familienverantwortung, profitieren am Ende alle davon.

Was war für Dich die bisher größte Überraschung in Hinblick auf berufstätige Eltern?
Ich bin oft überrascht, wie wenig Wissen über Elternzeit verbreitet ist. Etliche Männer, aber auch Frauen, wissen gar nicht, dass die Papas genau die gleichen Rechte und Möglichkeiten bei der Elternzeit haben. Viele Väter, mit denen ich spreche, denken, ihnen stehen nur die zwei Vätermonate zu und sind dann ganz überrascht, wenn sie feststellen, dass sie auch länger in Elternzeit gehen können. Da ist auf jeden Fall noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.